Matthias Lange (IPK)
Das Konsortium NFDI4Agri, an dem zahlreiche Institute wie auch das IPK, ZALF, JKI oder Thünen Institut (siehe Partners), beteiligt sind, hat gerade einen Antrag auf Förderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingereicht. Ziel ist der Aufbau einer Forschungsdateninfrastruktur für die Agrarwissenschaften. Diese wiederum bettet sich ein in eine Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). Warum das wichtig ist, wo Herausforderungen und Chancen liegen und warum es um einen echten Kulturwandel geht, erklärt der Bioinformatiker Dr. Matthias Lange vom IPK im Interview.
Das Ziel, eine Nationale Dateninfrastruktur aufbauen zu wollen, klingt reichlich sperrig. Warum ist es dennoch wichtig?
Auch in der Wissenschaft sind Daten die Währung. Das Ziel muss es sein, diese zu bewahren, zu aktivieren und miteinander in Verbindung zu bringen. Häufig besteht eine solche Verbindung aber heute noch nicht. Viele Wissenschaftler fokussieren auf ihren Ausschnitt, ihr Projekt, ihre Veröffentlichung und bauen dadurch Silos auf. Wir dürfen aber nicht mehr in Silos denken, denn so bleibt viel Potenzial ungenutzt.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Denken Sie einfach an die Pflanzenforschung. Wissenschaftler erheben Umweltdaten sowie Daten zum Phänotyp und zum Genotyp einer Pflanze. Die einen arbeiten auf dem Feld, die anderen am Mikroskop und die dritten in der Sequenzierung. Oft wissen die Wissenschaftler aber untereinander nichts von und über ihre Daten. Das möchten wir ändern, das treibt mich in meiner Arbeit an - und genau darum geht es auch bei einem Projekt wie NFDI4Agri.
Was ist die größte Herausforderung auf dem Weg hin zu einer solchen Dateninfrastruktur?
Der Mensch. Wir müssen für so etwas erst das Bewusstsein schaffen, denn es geht letztlich um einen Kulturwandel in der Wissenschaft. Leider fehlen oft noch immer die Werkzeuge, um die vorhandenen Potenziale nutzen zu können.
Jetzt reden Sie doch von Technik.
Nicht nur! Es geht mir tatsächlich um die vielen Personen, die an der Datenerhebung beteiligt sind. Die Datenaufbereitung in der Wissenschaft muss besser honoriert werden, auch von Seiten der Fördermittelgeber. Ich gebe ihnen ein Beispiel. Wenn ich einen Datensatz hervorragend aufbereitet habe und davon in der Folge 100 Wissenschaftler profitieren, bringt mir das persönlich recht wenig direkten Mehrwert. Um es einfach zu sagen: Die Reputation bekommt man noch nicht über Daten.
Provokant formuliert: Immerhin haben Sie aber 100 Kollegen helfen können.
Ja, aber die Herausforderung ist umfassender: die Daten werden immer nur auf ein Projekt, eine Veröffentlichung hin ausgewertet. Die Möglichkeiten, die sich daraus für die Meta-Analyse ergeben, bleiben ungenutzt. Doch nicht nur das: Ich möchte, dass alle verfügbaren Daten auch so aufbereitet werden, dass sie von künftigen Generationen autark genutzt werden können. Daten dürfen also nicht mehr an einzelnen Köpfen hängen.
Wie wollen Sie Ihr Ziel erreichen?
Wir haben das Modell eines Data Steward im Kopf. Eine solche Person könnte als Bindeglied zwischen Informatiker und Naturwissenschaftler fungieren. Konkret geht es unter anderem darum, die Qualität der Daten ebenso sicherzustellen wie auch ihre Nachnutzbarkeit. Dazu müssen aber auch Mindeststandards für die Datenerhebung festgelegt werden.
Welche Chancen sehen Sie bei dieser Entwicklung für ein Institut wie das IPK?
Gewaltige. Wir müssen beispielsweise die Genbank neu denken, die sich ja hin zu einem biodigitalen Ressourcencenter entwickeln soll. Es geht uns darum, Sequenzinformationen und molekulare Eigenschaften der Pflanzen zusammenzuführen. Aber auch die Daten, die gerade in einem Versuch in der Pflanzenkulturhalle zur Wurzelarchitektur von insgesamt 17 Kulturpflanzen erhoben werden, sind natürlich spannend und sollten aufbereitet werden. Letztlich geht es darum, für die Pflanzen einen möglichst großen Beipackzettel zu erstellen und dafür möglichst viele Informationen zu nutzen. Davon kann am Ende jedoch nicht nur die Wissenschaft profitieren, sondern auch die Züchtung.
Sie reden jetzt vom IPK. Wie bettet sich die Überlegungen in die Gesamtstrategie ein?
Bereits die Optionen in einem einzelnen Institut sind exzellent. Mit der NFDI-Initiative gehen DFG und BMBF nun aber noch zwei Schritte, vielleicht sogar drei weiter. Erster Schritt: die Verknüpfungen in einer umfassenden Forscher-Community wie der für Agrar-, Forst- und Ernährungsforschung. Schritt zwei - extrem spannend - die Vernetzung mit anderen Fachbereichen unter dem Dach der NFDI. Und Schritt drei - die internationale und im Idealfall weltweite Vernetzung.
Das klingt gut, Sie müssen aber dennoch sicherlich noch viel Überzeugungsarbeit leisten, oder?
Ja, das stimmt. Letztlich gelingt es nur, wenn die Wissenschaftler auch einen Mehrwert für seine Reputation und wissenschaftliche Arbeit sieht. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir immer mehr Kollegen überzeugen können.
Für viele junge Wissenschaftler ist Kommunikation schon ein selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit. Sie plädieren nun für ein stärkeren Fokus auf das Thema Daten. Kommt dieser grundlegende Wandel des Rollenbildes zwangsläufig? Und führt er nicht zu einer Überforderung der Wissenschaftler?
Dieser Wandel hat bereits eingesetzt. Die Kompetenz ist in der jungen Generation, die als „Digital Natives“ aufwachsen, vorhanden. Ich gebe Ihnen jedoch recht, dass die Kompetenz allein nicht ausreicht.
Woran lässt sich das festmachen?
Ich gebe Ihnen dafür nur ein Beispiel: Der führende Metadaten-Standard MIAPPE für Pflanzenphänotypisierungs-Experiemente, also die Beschreibung von Daten, umfasst mehr als 100 Eigenschaften, die dokumentiert werden müssen. Dazu kommen verschiedenste Datenausgabeformate der Messgeräte und umfangreiche Schritte bei der Datenaufbereitung, was wiederum IT-Kenntnisse voraussetzt. Investition in technische Infrastruktur allein kann diese Frage also nicht lösen, es muss immer gemeinsam mit Investitionen in Köpfe einher gehen. Aber auch bei dem Punkt erhoffen wir uns durch NFDI4Agri neue Impulse, von denen alle Partner und Akteure stark profitieren werden.